Sonntag, Mai 21, 2006

Der Songcontest ist tot - lang lebe der Songcontest

Ich habe eigentlich schon vor Jahren aufgehört mir den Songcontest anzusehen; war es in der Unterstufe noch Pflicht diesem innereuropäischen Wettsingen zuhause vor dem Fernsehgerät beizuwohnen um tags darauf in der Zehnuhr-Pause zur „in crowd“ zu gehören, so habe ich mich doch sämtlichen Gruppenzwängen entledigt und im Laufe des Erwachsenwerdens angefangen mir meine eigene Meinung zu bilden – und diese auch zu vertreten.
Vor allem aber habe ich aufgehört den „Grand Prix des chansons d’Eurovision“ anzusehen, weil die Veranstaltung in den letzten Jahren immer mehr einer Bravo Supershow ähnlich wurde. Die Regel, dass jedes Teilnehmerland einen Musikanten entsendet, der in seiner Muttersprache singt wurde – für das allgemeine bessere Verständnis der Inhalte und vielleicht auch um den ehemaligen Ostblockländern Integrationschancen einzuräumen – abgeschafft.

So kam ich gestern zufällig doch dazu, nach vielen songcontestlosen Jahren, die Teilnehmer zu hören und zu sehen. Wie zu erwarten war: Bis auf eine Handvoll Interpreten wurden gestern nur englische Texte dargeboten; Akrobatikeinlagen, die eher an den Chinesischen Nationalzirkus erinnerten, stützten die dünne Bühnenpräsenz der Kandidaten und Musikinstrumente kamen – wenn überhaupt – nur als Requisiten zum Einsatz.

Die überwiegend weiblichen Teilnehmer geizten nicht mit ihren Reizen, wobei Sex-Appeal als Marketingtool mehrfach mit der Kessheit einer St. Pauli Schlampe verwechselt wurde; das Gros der Interpretinnen sah aus, als seien sie dem Playboy entsprungen; singen konnten nur wenige Bunnies.

Gleichzeitig mit dem optischen Einerlei gingen auch die einzelnen Songs im Pop/Rap-Einheitsbrei unter; jeder Kandidat konnte einer bekannten Band mit ähnlichem Sound zugeordnet werden zB: die „Shakira des Kaukasus“ aus Moldavien, oder eine Männer-A-Capella Formation (woher, hab ich aus Desinteresse vergessen), die mehr an die Backstreet Boys oder die Flying Pickets erinnerte.



Der einzige Lichtblick in diesem kunterbunten Treiben, war die finnische Band „Lordi“, die dann zu guter Letzt auch mit gut 50 Punkten Vorsprung auf Russland gewonnen hat und übrigens der einzige Act war, der Instrumente auf der Bühne verwendete. Die einzelnen Bandmitglieder erinnerten an eine Abordnung von Klingonen und erschütterten den Kommentator, „Mr. Ö3“ Andi Knoll, der meinte „…“Lordi“ zelebrieren mit ihrem unendlichen Geltungsbedürfnis den schlechten Geschmack bis über die Landesgrenzen hinaus …“. Na, da hat’s jemand nicht verstanden!

Ich bin ja eher der Meinung, dass „Lordi“ dem Songcontest mit allen seinen Teilnehmern den Mittelfinger dick und fett gezeigt haben. Eine plakativere und kreativere Verarschung bzw mehr Gleichgültigkeit kann man diesem verstaubten Event gar nicht entgegenbringen!
Genau dieses „Geltungsbedürfnis“ sich in Masken auf die Bühne zu stellen, und sich mit einem Sound, der jedem Mainstream-Radiohörer das unbedingte Verlangen sich zu übergeben suggeriert, war genau der Grund warum man sich die Burschen gemerkt hat. Das Konzept war einfach: anders sein, provozieren und Aufmerksamkeit erregen.
Provoziert wurde übrigens im Vorfeld schon gewaltig, denn die Finnen selbst waren nicht glücklich über ihren Kandidaten und der Verband des Hellenismus will die EBU (European Broadcasting Union), die den Songcontest ausrichtet, verklagen. Grund: Die Rockband „Lordi“ kultiviere und rechtfertige den Satanismus und untergrabe die Fundamente der europäischen und griechischen Kultur". Noch jemand, der Ironie nicht kapiert.



Hard Rock, Hallelujah? – Merci, Cherie.